Die Faszination der «Woldmanndli» in Andermatt

Andermatt, 22. Oktober 2025

Wenn Ende Oktober dumpfes Glockengeläut, das Tuten von Ziegenhörnern und ohrenbetäubendes Getöse die Bergstille durchbrechen, ist es wieder so weit: Die «Woldmanndli» ziehen vom Gurschenwald nach Andermatt. Ein Brauch, der tief in der Geschichte verwurzelt ist und doch jedes Jahr aufs Neue begeistert.

Der Weg vom Gurschenwald ins Dorf führt durch die herbstliche Berglandschaft.

Im goldenen Herbstlicht ziehen Gross und Klein als Woldmanndli verkleidet los.

Ein Tag im Zeichen der Tradition Jacqueline Russi gibt uns einen Einblick in diesen besonderen Anlass. Seit Jahren nimmt sie mit ihrer Familie aktiv am Umzug teil – eingehüllt in grobe Jutesäcke, mit Russ verschmiertem Gesicht und schweren Kuhglocken in den Händen. «Das Besondere ist dieses Gemeinschaftsgefühl», erzählt sie. «Alt und Jung laufen Seite an Seite. Man spürt die Geschichte und gleichzeitig einfach pure Freude.» Ein Brauch mit Wurzeln im Mittelalter

Die Ursprünge des Woldmanndli-Umzugs in Andermatt reichen bis ins Jahr 1397 zurück, als der Bannbrief den Gurschenwald unter besonderen Schutz stellte. Die «Woldmanndli» symbolisierten damals jene Arbeiter, die den Wald pflegten und das Dorf vor Lawinen schützten. Heute ziehen rund hundert Männer, Frauen und Kinder jedes Jahr als Waldmännchen vom Gurschenwald ins Dorf. Noch bis in die 60er-Jahre war der Brauch eher locker organisiert. Erst Willi Bomatter-Furger gab ihm eine feste Form mit einem Umzug und einem gemeinsamen Suppenessen. Seit 2005 sorgt die St.-Nikolaus-Organisation dafür, dass die Tradition lebendig bleibt und von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es herbstet

Die Natur zeigt sich in goldener Farbenpracht, die Luft ist frisch und die tiefstehende Sonne taucht die Bergwelt in ein stimmungsvolles Licht. Bei Jacqueline und ihrer Familie beginnen wenige Tage vor dem Umzug die Vorbereitungen: Die kratzigen Gwändli aus Jute werden aus der alten Truhe geholt. Passen die Gwändli noch? Muss noch ein neues genäht werden oder muss etwas repariert werden? Glück gehabt, alle Gwändli passen noch. Nur das selbstgemachte «Bockähourä» ist leider nicht mehr da. Das hat sich wohl letztes Jahr einen neuen Besitzer gesucht.

Urig, rau und kraftvoll - das Horn ist ein Symbol des Brauchs und verstärkt den eindringlichen Klang des Umzugs.

Der erste Glockenschlag

Die Spannung steigt: Gleich schlägt die Kirche 13 Uhr und für Jacquelines Familie hat das Warten ein Ende.

Pünktlich um 13 Uhr ertönt der erste Glockenschlag – jeder reiht sich ein. Schritt für Schritt zieht die Schar Richtung Dorf, wo zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer am Strassenrand warten. Zwischen den Häusern wird es noch lauter, der Lärm geht durch Mark und Bein und sorgt für Gänsehaut pur. Im hinteren Teil reihen sich die Männer ein, nicht selten mit einer «Krumme» im Mundwinkel. Das rhythmische Läuten der schweren Treicheln (Kuhglocken) hallt durch die Gassen, während Kinder es sich auf den Schultern ihrer Eltern bequem gemacht haben oder gar ein Nickerchen machen.

Gänsehautmoment pur! Der Umzug endet mitten im Dorf, wo alle Teilnehmenden eine heisse Suppe erhalten – jedes Jahr von einem anderen Spender gestiftet. «Das gehört einfach dazu», sagt Jacqueline. «Es ist ein Dankeschön, das die Verbundenheit zwischen Dorfgemeinschaft, Organisation und Teilnehmenden zeigt.» Und nicht selten wird der Abend anschliessend in den Beizen weitergeführt – ganz so, wie es zur Andermatter Chilbi gehört.

Schwer, laut und unverkennbar - ihr Klang erfüllt das Urserntal und macht den Umzug zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Ein Erlebnis für Gäste und Einheimische Der Woldmanndli-Umzug ist mehr als ein Spektakel. Er ist ein Stück Identität, ein lebendiges Kulturerbe und ein Ereignis, das Tradition und moderne Festkultur miteinander verbindet. Wer einmal dabei war, spürt: In Andermatt ist Geschichte keine ferne Vergangenheit, sondern gelebte Gegenwart. Weitere Informationen: Am 21. Oktober gedenkt die katholische Kirche der heiligen Ursula, einer Märtyrerin aus dem frühen 4. Jahrhundert. Das darauffolgende Wochenende steht in Andermatt ganz im Zeichen der Chilbi. Der Chilbi-Samstag ist seit Generationen der Tag der «Woldmanndli» – in diesem Jahr ziehen sie am 25. Oktober durch das Dorf.

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